WalkThrough: Versagen mit Stil

Das Vorstellungsgespräch. Unendliche Weiten.

Wir lesen allerorten goldene Regeln in gerader Zahl. HowTos und Knigges dümpeln im Internet und sind erst dann richtig einprägsam, wenn man den Termin schon hinter sich hat und daher die Abweichungen von den Masterplänen umso markanter hervortreten.
Wie aber, wenn man (von Amts wegen etwa) genötigt wird, ein entsprechendes Gespräch zu führen wegen eines Jobs, den man gar nicht bemannen mag?
Man kann das ja nicht rundheraus zugeben. Zudem hat man ein Gramm Stolz und möchte mit Stil versagen, damit sich auch der Arbeitgeber hinterher dazu beglückwünscht, diesen Kandidaten nicht eingestellt zu haben.
So profitieren alle Beteiligten
:

Legen Sie Wert auf Zweierlei.
a) Seien Sie höflich und dezent. Je zufälliger und angelegentlicher Sie wirken, desto überzeugender sind Sie.

b) Trachten Sie danach, möglichst viele Unterpunkte üblicher Knigges zu verletzen.

Exposition

Die Vorbereitung auf ein solches Gespräch ist unscheinbar. Erwägen Sie am Morgen des großen Ereignisses den Verzehr einer oder zweier Knoblauchzehen zum Frühstück. Das nachhaltige Aroma in Ihrem Mund wird Sie fortlaufend daran erinnern, dass heute ein ganz besonderer Tag ist. Deponieren Sie ein Spinatblättchen zwischen den Zähnen.
Achten Sie auf ordentliche Kleidung, die erst auf den zweiten Blick Irritationen erzeugt. Herren sollten ihre Krawatte so lang binden, dass sie sie in den Hosenbund stecken und durch den offenen Hosenstall wieder ausführen können. Auch ein Pingpongball in jeder Hosentasche ist ein guter Effekt. Bei Damen machen sich herausragende Etiketten oder ein einzelnes Kleidungsstück auf links sehr gut. Im Sommer können beide Geschlechter mit Socken in Sandalen punkten. Sollte es regnen, nimmt man einen überdimensionierten Schirm mit, den man beim Arbeitgeber dort zum Trocknen aufspannt, wo er ungemein stört, vor dem Kopierer oder der Toilette beispielsweise.
Unpünktlichkeit ist eigentlich zu plump. Aber wenn Sie den Bus nicht mehr erwischen, dann sollte es wohl so sein. Sagen Sie einfach, dass Sie in einen Hundehaufen getreten sind, der Ihren umfangreichen Säuberungsversuchen dreist widerstanden hat. Scharren Sie dabei angelegentlich mit dem Schuh.
Dies ist der übliche Zeitpunkt für das Händeschüttelritual, über das schon viel Gehaltvolles gesagt wurde. Während Ihr Gegenüber nun auf zu laschen oder zu forschen Druck lauert, könnten Sie damit überraschen, dass Sie die dargebotene Hand zu lange festhalten und noch mit der Linken umgreifen. Auch Wangenküsse sind an dieser Stelle reizvoll. Alternativ können Sie ohne Blickkontakt die Hand heben und sich dann sofort auf irgendeinen Stuhl sinken lassen (am besten nehmen Sie den größten).
Natürlich sollten Sie Ihre Unterlagen bereitlegen. Machen Sie darum ruhig ein wenig Aufhebens. In einer professionell aussehenden Aktentasche können Sie ausgiebig kramen, ehe Sie einen speckigen Wisch und einen angekauten Bleistiftstummel zutage fördern.
Gute Möglichkeiten bietet auch ein voller Rucksack, in dem Sie enervierend lange wühlen, um ihn dann kurzentschlossen auf den Tisch auszukippen. Geeignete Inhalte sind beispielsweise benutzte Taschentücher, ein Schwung Kronkorken, ein paar leere kleine Feiglinge, ein ausgepackter Tampon … Seien Sie kreativ! Lassen Sie zylindrische Objekte vom Tisch rollen. Heben Sie irgendein undefinierbares technisches Gerät vielsagend an, sagen Sie „Schauen Sie mal“ und vollziehen Sie eine unverständliche Handlung, auf die das Gerät verstörend reagiert, ehe Sie es umgehend wieder wegpacken. Kommen Sie daraufhin sofort zum Thema.

Klimax

Fragen Sie von Beginn an bei mindestens jedem zweiten Satz „wie bitte?“ oder „was?“. Nehmen Sie nur selten Blickkontakt auf, und wenn, dann schielen Sie leicht (wer nach außen schielen kann, sollte zwei Gesprächspartner gleichzeitig fixieren). Ergänzen Sie das Potpourri verstörender kleiner Handlungen nach Bedarf, indem Sie sich hin und wieder kratzen oder im Ohr bohren, aber übertreiben Sie damit nicht. Wer ein imposantes Schneuzen hat, darf es an empfindlicher Stelle einsetzen (Interviewer warten auf eine Antwort o. ä.). Würdigen sie beiläufig den frischen Inhalt des Taschentuchs.
Wichtig: Ihre Aktionen dürfen nicht zum Gesprächsgegenstand werden; Sie sollten stets unterhalb dieser Gemarkung agieren. Beteiligen Sie sich bereitwillig am sachlichen Interview. Lassen Sie Ihr Gegenüber diffus spüren, dass Sie seine Ausführungen stets um Haaresbreite missverstehen. Wenn Sie Sachinformationen erhalten („Unser Betrieb hat dreihundert Mitarbeiter“), dann fragen Sie „warum“. Suchen Sie sich ein Fremdwort aus, das sie möglichst oft falsch verwenden. Lachen Sie bisweilen unmotiviert auf oder runzeln Sie die Brauen.
Seien Sie von sich überzeugt! Beweisen Sie Unempfindlichkeit gegenüber jeglicher negativer Rückmeldung. Sitzen Sie dafür umso nervöser auf dem Stuhl.
Mit einem Getränk gibt man Ihnen ein hochkomplexes Werkzeug an die Hand, mit dem Sie viel bewirken können. Nehmen Sie also einen Kaffee dankbar an. Fragen Sie nach Süßstoff, lassen sie mindestens zwanzig Tabletten hineinplumpsen (vielleicht naschen Sie auch eine) und füllen die Tasse bis zum Rand mit Milch auf. Legen Sie den Löffel auf den Tisch, damit er einen Fleck macht. Dass Sie einen Teil des Kaffees verschütten, sollte selbstverständlich sein. Möglichst erwischen Sie damit die Unterlagen Ihres Gegenübers. Wenn Sie genügend Chuzpe besitzen, dann gießen Sie sich mit Ihrem besten Pokerface den Kaffee am Mund vorbei auf die Schulter. Daraufhin können Sie großes Geschrei anstimmen und die Versammlung für einige Minuten auf andere Gedanken bringen. Brechen Sie kurz in Tränen aus, kommen Sie dann aber wieder zur Sache. Retten Sie die Situation mit einem sehr schlichten Witz.

Denouement

Irgendwann ist die Zeit für Ihre Fragen gekommen. Natürlich erkundigen Sie sich nach Gehalt (nach Auskunft leichten Missmut zeigen), Gleitzeit und Urlaub. Rühmen Sie das Konzept der Altersteilzeit.
Lässt die Umgebung Rückschlüsse auf das Steckenpferd des Chefs zu, dann versäumen Sie nicht, ihn so unberufen wie hartnäckig in Gespräche darüber zu verwickeln. Es muss eindeutig sein, dass Sie nichts von der Sache verstehen, sich darüber aber nicht im Klaren sind. Nur Mut, strapazieren Sie seine Nerven!
Betonen Sie nicht zuletzt, wie sehr Ihnen an der Firma liegt. Verwechseln Sie dabei den Namen. Den der Konkurrenz zu nennen wäre zu plump. Nennen Sie den Namen einer Firma, die etwas ganz anderes herstellt. Wenn Sie sich also bei McDonald’s bewerben, dann reden Sie nicht von Burger King, sondern von Opel.
Verabschieden Sie sich schließlich besonders herzlich von jemandem, der nicht der Chef ist. Betonen Sie dreimal, dass man die Entscheidung überschlafen sollte.
Zu guter Letzt knallen Sie die Tür hinter sich zu. Wird sie partout hinter Ihnen von innen geschlossen, öffnen Sie sie kurz, um sie zu knallen. Strecken Sie dann nochmal den Kopf hinein, entschuldigen Sie sich aufrichtig und schließen Sie die Tür in Zeitlupe.

Leserkommentare:

  1. Kommentiert von: haluk
    Am 19. Oktober 2010 um 20:12 Uhr

    einfach köstlich :)

  2. Kommentiert von: Sonja
    Am 16. Juni 2011 um 01:31 Uhr

    Philosophische Perle aus einer maschinellen Hin- und Rückübersetzung (DE/TR):

    Jedes Mal, wenn die Breite eines Haares in seiner Rede falsch war, fühle ich mich Ihnen diffuse Gegenstück.

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